Pflichtteilsansprüche von Kindern

Beispielsfall

Herr X. ist verstorben. Er war zweimal verheiratet und hinterlässt aus zweiter Ehe eine Ehefrau sowie eine Tochter, aus erster Ehe zwei Söhne. Herr X. hat ein Testament verfasst, in dem er seine Ehefrau und die Tochter aus zweiter Ehe zu gleichen Teilen als Erben einsetzt. Seinen Sohn H. aus erster Ehe setzt er in diesem Testament auf den halben Pflichtteil, da dieser mit seinem Vater keinen regelmäßigen Kontakt gepflegt hätte. Den zweiten Sohn P. erwähnt er im Testament nicht. Herr X. besaß ein Haus, ein Auto sowie Ersparnisse. Zu Lebzeiten hat er seiner Tochter eine Eigentumswohnung geschenkt.

Was steht den Söhnen aus erster Ehe zu?

Das Pflichtteilsrecht

Jeder Mensch kann in seinem Testament bestimmen, welche Personen er zu Erben einsetzen will. In seiner Entscheidung ist er weitgehend frei, er kann einzelne Kinder zu Erben einsetzen und andere ausschließen, er kann fremde Personen oder auch Institutionen und Vereine zu Erben einsetzen (Prinzip der Testierfreiheit). Das Gesetz beschränkt die Testierfreiheit nur durch das Pflichtteilsrecht.

Gibt es kein Testament, werden die Erben nach der gesetzlichen Erbfolgeregelung bestimmt.

Das Pflichtteilsrecht stellt sicher, dass die Pflichtteilsberechtigten (auch „Noterben“ genannt) einen bestimmten Betrag aus der Verlassenschaft auf jeden Fall erhalten. Auch wenn dies der Erblasser nicht wollte. Egal, ob sie im Testament erwähnt werden oder nicht.

Die pflichtteilsberechtigten Personen

Pflichtteilsberechtigt sind die Kinder des Verstorbenen und sein Ehegatte. Ihr Pflichtteil beträgt die Hälfte dessen, was ihnen als gesetzlicher Erbteil zustünde.

Im Beispielsfall wären die Ehegattin und die drei Kinder gesetzliche Erben. Nach dem gesetzlichen Erbrecht würde die Ehegattin ein Drittel des Nachlasses erhalten und die verbleibenden zwei Drittel des Nachlasses würden zu gleichen Teilen an die drei Kinder gehen. Jedes Kind würde also 2/9 des Vermögens des Verstorbenen erhalten. Davon die Hälfte ist der Wert des Pflichtteiles.

Der Pflichtteil der beiden Söhne aus erster Ehe beträgt also ein Neuntel des Wertes der Verlassenschaft.

Die Pflichtteilsminderung

Im Beispielsfall hat der Erblasser verfügt, dass sein Sohn H. auf die Hälfte des Pflichtteiles gesetzt wird. Das ist nach dem Gesetz nur zulässig, wenn zu keiner Zeit ein Eltern-Kind-Verhältnis zwischen dem Erblasser und dem Sohn bestanden hätte. Im Beispielsfall wäre diese Klausel im Testament nicht wirksam, weil der Erblasser mit dem Sohn H. im Familienverband zusammengelebt hat.

Pflichtteilserhöhung wegen Schenkungen

Hat der Erblasser zu Lebzeiten Schenkungen an pflichtteilsberechtigte Personen gemacht, können diese Schenkungen bei der Berechnung der Pflichtteile berücksichtigt werden. Auch diese Bestimmung dient der Sicherung der Pflichtteilsansprüche. Sie soll verhindern, dass der Erblasser Pflichtteilsansprüche dadurch umgeht, dass er sein Vermögen schon zu Lebzeiten verschenkt.

Auch Schenkungen an nicht pflichtteilsberechtigte Personen können berücksichtigt werden (zB Schenkungen an Lebensgefährten). Allerdings nur solche Schenkungen, die der Erblasser in den letzten 2 Jahren vor seinem Tod gemacht hat.

Im Beispielsfall könnten die Söhne aus erster Ehe verlangen, dass die Schenkung der Eigentumswohnung an die Tochter in die Berechnung der Pflichtteile einbezogen wird. Sie erhalten dann einen höheren Pflichtteil, den sog. „Schenkungspflichtteil“.

Wie werden Pflichtteilsansprüche geltend gemacht?

Die Noterben müssen vom Verlassenschaftsverfahren verständigt werden und können sich daran beteiligen. Der Gerichtskommissär wird versuchen, eine Einigung der Erben und Noterben über den Wert der Pflichtteilsansprüche herbeizuführen. Können sich diese nicht einigen, wird das Verlassenschaftsverfahren trotzdem abgeschlossen und der Nachlass eingeantwortet. Die Noterben müssen ihre Ansprüche dann durch Pflichtteilsklage gerichtlich geltend machen.

Scroll To Top